Angelina Bockelbrink ist promovierte Medizinerin, Epidemiologin, Dozentin und Autorin. Sie hat viele Jahre in der universitären Wissenschaft gearbeitet, gelehrt und Doktoranden betreut. Als ganzheitlicher Wissenschaftscoach unterstützt und begleitet sie MedizinerInnen beim Einstieg ins wissenschaftliche Arbeiten und Schreiben.
Ich kenne kaum einen Satz, der mehr Potenzial hat großen Frust hervorzurufen. Und dennoch hat ihn fast jeder Promovierende schon gehört: „jetzt musst du nur noch zusammenschreiben“. Gern wird dieser Satz von Betreuern oder Teammitgliedern zum Abschuss der Studie oder der Versuchsreihen für die Doktorarbeit gesagt. Eigentlich soll er motivieren, erreicht allerdings oft das Gegenteil.
Die Schreibarbeit einer Promotion ist die Phase, in der die meisten Arbeiten scheitern, hauptsächlich weil der Aufwand deutlich unterschätzt wird, die für die Promotion reservierte Zeit ausgeht und häufig auch die Unterstützung durch Betreuer und Forschungsteam nachlassen. Gerade im Medizinstudium wird man zudem meist nicht (gut) auf das Erstellen wissenschaftlicher Schriftstücke vorbereitet. An vielen Unis ist es immer noch möglich, das Medizinstudium abzuschließen, ohne eine einzige Hausarbeit zu schreiben.
Die gute Nachricht ist aber, dass wissenschaftliches Schreiben absolut lernbar ist, für jeden und auch im Rahmen der Promotion. Sehr hilfreich ist zudem, wenn man die Schreibarbeit von Anfang an ernst nimmt und ihr einen ähnlich hohen Stellenwert einräumt wie der praktischen Arbeit.
Schreibarbeit im Zeitplan berücksichtigen
Die Zeit für die Doktorarbeit möchte im Rahmen der Studien- oder Arbeitszeit eingeplant werden (siehe Teil 4 – Der praktische Teil). Das gilt in besonderem Maße auch für die Schreibarbeit, denn du erleichterst dir den Aufwand ungemein, wenn du es schaffst zeitnah und regelmäßig deine Forschungsergebnisse auf Papier zu bringen.
Üblicherweise kann die Schreibarbeit zeitlich sehr flexibel und von anderen Menschen unabhängig durchgeführt werden. Dennoch benötigt sie einiges an Ressourcen. Ein Schreib-Zeit-Plan, in dem du für jeden Teil der Arbeit notierst, was bereits getan ist, was die nächsten Schritte sein sollten und wie groß der geschätzte Zeitaufwand sein wird, kann dich hierbei gut unterstützen. Gerade zu Beginn solltest du dir längere Zeitfenster einrichten und auch im späteren Verlauf möglichst regelmäßig mehrmals in der Woche an der Promotion schreiben.
Schon während der praktischen Arbeit den Schreibprozess vorbereiten und vereinfachen
Es gibt keinen Grund, den Schreibprozess in seiner Gänze erst nach den praktischen Teil zu legen. Ganz im Gegenteil tust du dir einen riesigen Gefallen, wenn du bereits während der praktischen Arbeit das Dokument im Blick hast und den Schreibprozess entsprechend vorbereitest. So kannst du deine Methoden während der Durchführung der Versuche oder der Studie bereits zu Papier bringen und auch ausformulieren. Dann kannst du sie später idealerweise direkt in den Methodenteil deiner Promotionsschrift übernehmen. Und im schlechtesten Fall hast du ein bereits gut zusammengefasstes Dokument, in dem du nachschlagen kannst, was du getan hast. Das hilft dir beispielsweise auch für die einzelnen Publikationen einer kumulativen Promotion.
Sogar die Einleitung kannst du bereits während deiner Einarbeitung und deiner einführenden Recherchen schreiben. Dokumentiere einfach das, was du dir zum Thema erarbeitest. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das viel zu viel werden für die Einleitung, aber du hast einen tollen Überblick gewonnen. Während des Schreibens musst du dann kürzen und aktuelle Erkenntnisse und Studien ergänzen, aber du hast bereits einen guten Einstieg ins Thema. Diesen zu finden kann ansonsten sehr mühsam werden, weshalb ich nicht empfehle die Einleitung als letztes zu schreiben, wie man das an anderen Stellen lesen kann.
Unbedingt bereits während der Einarbeitungsphase solltest du ein Literaturverzeichnis anlegen. Ich kenne unglaublich viele Doktoranden, die wieder und wieder die Literatur durchsucht haben, nur um oft genug festzustellen, dass sie vieles davon schon mal gefunden und sogar gelesen hatten. Also erstelle dir ein vollständigen Literaturverzeichnis (am besten mit entsprechender Software, zum Beispiel Zotero, Mendeley oder EndNote) und notiere ein paar Stichworte zu jedem Artikel, den du gelesen hast. Dann kannst du dich später besser erinnern und erleichterst dir den Aufwand beim Zitieren.
Der grundsätzliche Aufbau einer Doktorarbeit
So unterschiedlich Doktorarbeiten hinsichtlich ihres Themas und ihrer Methodik auch sein mögen, so sehr folgt ihr Aufbau dennoch dem gleichen Schema. Zusätzlich machen die Fakultäten natürlich mehr oder weniger strenge Vorgaben zum Format, zum Aussehen des Deckblatts, zur Zitationsweise oder zum Wortlaut der eidesstattlichen Erklärung, die man alle in der Promotionsordnung nachlesen kann und sollte. Auf diese Formalien einzelner Promotionsordnungen möchte ich hier nicht eingehen, sondern auf die grundlegenden Aspekte wissenschaftlicher Arbeitsweise, wie sie für jede Promotion anzuwenden sind.
Kurz zusammengefasst sieht der Aufbau eine klassischen Doktorarbeit so aus:
- Deckblatt mit Titel und Verfasser
- Verzeichnisse (Inhalt, Tabellen, Grafiken)
- Zusammenfassung (findet sich manchmal auch ganz am Ende)
- Einleitung mit Zielstellung
- Material und Methoden
- Ergebnisse
- Diskussion
- Literaturverzeichnis
- Eidesstattliche Erklärung
- (Anhang)
Meist ganz am Anfang der geschriebenen Arbeit, aber ganz am Ende des Schreibprozesses, steht die Zusammenfassung. Diese folgt in etwa dem gleichen Aufbau wie die eigentliche Arbeit, soll dabei aber in verständlicher und komprimierter Form die wichtigsten Aspekte auf wenigen Seiten wiedergeben. Beinahe jeder, der deine Arbeit liest, wird zuerst die Zusammenfassung lesen, um sich einen Überblick und einen ersten Eindruck zu verschaffen. Es lohnt sich die Zusammenfassung richtig gut zu machen, was gleichzeitig eine perfekte Vorbereitung für deine Verteidigung ist, weil du so schon mal die wichtigsten Aspekte deiner Arbeit herausgearbeitet und parat hast.
In der Einleitung wird sich vieles wiederfinden, das du dir vor Beginn deiner Arbeit selbst erarbeiten musstest. Hier wirst du viel aus anderen Publikationen zitieren, einen Überblick über das Thema geben, deine eigene Studie in den aktuellen Wissensstand einordnen und hast zudem die Möglichkeit durch deine Schwerpunktsetzung den Leser in eine bestimmte Richtung zu lenken. Den Aufwand für eine gute Einleitung solltest du auf keinen Fall unterschätzen und es lohnt sich, diesen Teil auch nochmal zu überarbeiten, wenn er nicht mehr so gut passt oder wenn du neue Erkenntnisse gewonnen hast.
Das Herzstück der Einleitung, auf das sie hinführt, ist sicherlich die Zielsetzung. Die Zielsetzung beschreibt das übergeordnete Ziel deiner eigenen Untersuchung, der Beitrag zur Forschung, den du leisten willst. Diese Zielsetzung ist dann nochmals aufgegliedert in die einzelnen Fragestellungen und Hypothesen. Also, welche konkreten Fragen willst du beantworten? Wie lautet deine Haupthypothese und welche Nebenhypothesen gibt es? Die Fragestellungen deiner Untersuchung oder deines Experiments geben schon ziemlich gut vor, wie die Ergebnisse zu präsentieren sein werden, denn mit diesen willst du Schritt für Schritt die Fragestellungen beantworten.
Für viele am trockensten und langweiligsten ist der Teil zu Material und Methoden, entsprechend schwer fällt er vielen Promovierenden. Dennoch ist er ausgesprochen wichtig, da hier erklärt wird, wie du an die Fragestellung herangegangen bist und was du gemacht hast. Besonders wichtig ist, hier zuerst einmal das Studienmaterial bzw. die Studienpopulation zu beschreiben: Auswahlkriterien, idealerweise definierte Ein- und Ausschlusskriterien, eine Erläuterung aller Untersuchungsmethoden, verwendete Geräte und Fragebögen, gegebenenfalls auch mit Grafiken und Abbildungen, und eine Abgrenzung der eigenen Methodik zum Gesamtprojekt, wenn das relevant ist. In den Methodenteil gehört alles, was die Entstehung und Herkunft der Ergebnisse erklärt. Ebenso gehört eine Beschreibung der verwendeten statistischen Methode, hierher und auch eine Fallzahlberechnung, sofern eine durchgeführt worden ist. Auch die Studiennummer, die Angaben zum Datenschutz und das Ethikvotum müssen hier erwähnt werden.
Gewissermaßen den Hauptteil einer jeden Doktorarbeit stellen die Ergebnisse dar. Hier gehört alles hinein, was du untersucht, herausgefunden und ausgewertet hast. Zu jeder durchgeführten Untersuchung muss sich hier etwas wiederfinden, auch wenn die Ergebnisse so gar nicht das widerspiegeln, was du erhofft hattest. Beim Aufbau der Ergebnisse beginnst du mit den rein deskriptiven Beschreibungen und beginnst dann deine Fragestellungen zu beantworten. Wenn du eine kumulative Arbeit schreibst, wirst du nicht alle Aspekte der Arbeit tatsächlich in die Publikationen packen können, sondern in jeder Einzelpublikation einen anderen Teilaspekt herausarbeiten. Viele der Ergebnisse, egal ob für eine klassische Promotionsschrift oder eine Publikation, kannst du in Tabellenform aufbereiten. Was in einer Tabelle oder Grafik dargestellt wird, solltest du im Text nur noch kurz erläutern und nicht ebenfalls vollständig beschreiben. Eine Bewertung deiner Erkenntnisse findet im Ergebnisteil noch nicht statt. Auch werden hier keine der verwendeten Methoden mehr beschrieben, sie sollten alle bereits bekannt sein.
Eine Einordnung und kritische Würdigung deiner Ergebnisse gehört in die Diskussion. Erst hier ist Raum für deine Einschätzungen und Bewertungen. Am Anfang der Diskussion sollten die eigenen Ergebnisse in Kontext anderer, publizierter Studien und gängiger Ansichten gesetzt werden. Dabei kannst du vor allem auch den eigenen Beitrag zum Forschungsstand hervorheben. Auch besonders überraschende oder widersprüchliche Ergebnisse solltest du hier diskutieren, zumindest kurz. Im Anschluss finden die Limitationen deiner Arbeit Erwähnung, wobei du keinesfalls deine Ergebnisse abwerten oder schlecht machen solltest. Jede Untersuchung weist gewisse Limitationen auf, wie beispielsweise eine geringe Fallzahl oder fehlende Verblindung, für die es oft dennoch gute Gründe gibt. Wichtig ist nur, dass du dir der Limitationen bewusst bist und transparent damit umgehst. Abgerundet wird die Diskussion mit plausiblen Schlussfolgerungen und dem Ausblick, wie weitere Forschungsbedarf zum Thema aussehen kann. Denn schließlich wird kaum eine Studie irgendein Thema abschließend beantworten können.
Zusammenfassung
Das Schreiben oder „Zusammenschreiben“ der Doktorarbeit stellt viele Studierende und auch Wissenschaftler vor eine riesige Herausforderung. „Zusammenschreiben“ ist Arbeit, die allerdings gut erlernbar ist. Wenn du diesen Teil der Promotion von Vornherein ernst nimmst und dich gut darauf vorbereitest, hast du die größte Hürde schon genommen, und dem Titel steht nichts mehr im Wege.
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